Gewaltfreie Kommunikation, Coaching, Mediation in Hamburg.

Die Pflicht zur Leichtigkeit

Ja, liebe Leserin, lieber Leser, so habe ich auch geguckt, als mir vor einiger Zeit jemand sagte, es gibt eine Pflicht zur Leichtigkeit. Häh? war die erste Reaktion, mein Gehirn verweilte einen Augenblick in kognitiver Dissonanz und das Gesicht brachte es zum Ausdruck.

Jeder Kapitän auf hoher See ist zu Sicherheit und Leichtigkeit verpflichtet. 

Nachlesen kann man das in den Kollisionsverhütungsregeln und in der Verordnung zu den Internationalen Regeln von 1972 zur Verhütung von Zusammenstößen auf See. Wer mehr zu den Gesetzestexten lesen will, möge in Wikipedia oder den gängigen Suchmaschinen weiterforschen. Ich wusste das bis vor kurzem auch nicht, Frau lernt nicht aus und freut sich über neues.

Ich möchte in diesem Artikel meine Gedanken dazu teilen und was die Pflicht zur Leichtigkeit mit zwischenmenschlichem Miteinander und Gewaltfreier Kommunikation zu tun hat. Vorweg: ich habe kein Kapitänspatent und auch sonst keine erworbene Lizenz, die mich zum Navigieren von Segel- und Motorschiffen auf hoher See oder im Binnenland berechtigt. Ich kann schwimmen und Ruderboote und Kanus steuern, das wars. Ich bin also kein Experte, ich mache Fehler, hier schreibt eine Lai-in.

Was für ein Wumms. 

Die Verpflichtung zur Leichtigkeit. Es gibt ein Gesetz, das schreibt Leichtigkeit vor und wenn man die nicht lebt, dann droht – das ist die Natur von Gesetzen – Strafe. Das alleine ist schon ein Widerspruch, oder? Und überhaupt, warum der Zwang zur Leichtigkeit auf hoher See?

Es geht um Kollisionsverhütung. Leichtigkeit auf hoher See bedeutet, dass der Kapitän dazu verpflichtet ist, anderen Schiffen Raum zu geben, sie nicht zu bedrängen, nicht zu nahe zu kommen, notwendigen Platz zu gewährleisten. Es bedeutet auch, Hilfe zu leisten, wenn sie nötig ist – sich darin aber nicht aufzudrängen sondern auch darin zu vertrauen, dass andere ihre Kompetenzen und Fähigkeiten haben und nutzen, und zwar auf ihre individuelle Art und Weise. Die Verpflichtung zur Leichtigkeit bedeutet, nicht nur sich selbst sondern vor allem auch anderen das Leben möglichst leicht zu machen. Alles was stören könnte und es schwer macht rauszunehmen. 

Ich vermute, dass es deshalb auf hoher See so wichtig ist, weil es im Falle einer Begegnung auch ganz schnell mal um Leben und Tod gehen kann. Da sind immerhin bis zu mehrere hundert Meter Wasser unter einem und kilometerweise drum herum, da kann man nicht einfach so weg, da gibt es keinen festen Boden und Halt. Da ist schnell mal ein Abgluckern und dann Ende-aus, Finito. Ein Kapitän kann nicht einfach so seinen Kurs verfolgen, machen was er will, steuern und navigieren wie er will. Er muss seinen und den Lebensraum anderer respektieren und schützen. Es geht aber auch darum darauf vertrauen zu können, dass andere in gleicher Absicht handeln, für einen selbst also die gleiche Leichtigkeit in die Welt bringen. Es ist eine Grundfeste des Miteinanders auf hoher See.

Mein erster Gedanke war: warum eigentlich nur auf hoher See und nicht an Land? Vermutlich wegen der potentiellen Ausweichmöglichkeiten und dem festen Boden unter den Füßen. Die sind naturgegebener Maßen an Land eher da.

Sind sie das wirklich?

Ist es an Land wirklich so anders?

Physisch räumlich betrachtet natürlich schon, klarer Fall. Doch bei genauerem Hinschauen vielleicht nicht mehr so ganz. Wie oft ist es uns in Teams oder Gruppen, in e-Mailverteilern oder WhatsApp Gruppen schon passiert, dass jede Leichtigkeit verloren ging? Mir schon sehr häufig. Meist hatte es etwas damit zu tun, dass ich für mich notwendigen Raum nicht mehr erlebt habe wurde. Oder es ging darum, dass sich Dinge oder Konversationen in eine Richtung entwickelten, die ich nicht mittragen konnte und meine Bedürfnisse nicht mehr berücksichtigten, auch wenn ich es noch so sehr versuchte mich einzubringen. Manchmal entwickelten sich die Situationen dann so schnell und drängend, dass mir nichts anderes übrig zu bleiben schien, als in die Nachdrücklichkeit zu gehen, als Steigerung davon anzufangen zu kämpfen oder eben die Gruppe oder das Team zu verlassen. Um im Bilde der Seefahrt zu bleiben: Piraten enterten mein Schiff und ich konnte meinen Kurs nicht weiter verfolgen. Die Leichtigkeit ging verloren, es war eine Schwere die oft zur Bewegungsunfähigkeit führte. 

Na klar, man kann da jetzt sagen: es bleibt ja immer noch der ehrliche Selbstausdruck, ein sehr nachdrücklicher Weg für sich einzustehen. Und manchmal sind die Situationen auch dann so eng, dass die Leichtigkeit verloren geht.

Was bedeutet Leichtigkeit im Miteinander?

Vieles von dem, was auf hoher See gilt, lässt sich doch auch auf Binnengewässer oder Land übertragen. Es hat damit zu tun, wie ich der anderen Person begegne. Gebe ich ihr ausreichend Raum und bin gleichzeitig im Vertrauen, dass auch für mich genug Raum zur Verfügung steht? Dränge ich mich nicht auf und bin doch da, wenn jemand um Unterstützung bittet? Kann ich mit der anderen Person Dinge aushandeln und vertraue ich auf ihre und meine Kompetenzen, dass wir beide einen guten Weg finden? Für mich heißt das auch: mit einer Vorsichtigkeit den Menschen zu begegnen auf meinem eigenen Kurs durch die Welt. Ich will nicht starr bei meiner Sicht der Dinge bleiben, will nicht darauf beharren, dass mein Weg der richtige ist, der für andere auch gelten muss. Und gleichzeitig bleibe ich auf meinem Weg – ich gehe womöglich etwas langsamer, vorsichtiger und mit offeneren Augen und Ohren, doch ich bleibe auf meinem Weg. Das bedeutet dann auch, den anderen auf seinem Weg zu lassen – und miteinander oder umeinander herum ein Stück zu tanzen: auf Augenhöhe und in einvernehmlichem Respekt.

Ohne Humor geht es natürlich auch nicht.

Humor ist ein schönes Mittel, um für Leichtigkeit zu sorgen – insbesondere, wenn es jemandem gelingt, sich selbst nicht so ernst zu nehmen und über sich selbst zu lachen. Manchmal scheint es mir jedoch, als verstünden Menschen unter Leichtigkeit vor allem Spaß und wie Kai aus der Kiste für alles einen passenden Gag auf Lager zu haben mit unentwegter froher Heiterkeit. Für mich ist das zu einseitig – denn es berücksichtigt nicht die Lage des Gegenübers. Vielleicht ist es für den gerade nicht besonders heiter, vielleicht ist es dort gerade ängstlich, traurig, enttäuscht, schmerzhaft. Dann kann Heiterkeit auch aufdringlich werden, dann wird gegenüber womöglich gerade etwas anderes – Zuwendung? Unterstützung? Empathie? Ruhe? – gebraucht. Doch Leichtigkeit würde funktionieren, denn sie umfasst auch Empathie: dem anderen den Raum geben, den er braucht, um zu navigieren, zu wenden, Ruhe ins Boot zu bringen, seine Manöver zu fahren oder seinen Kurs zu korrigieren. 

Dieser Artikel erschien initial in der Emphatischen Zeit 04/2020


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