Gewaltfreie Kommunikation, Coaching, Mediation in Hamburg.

Frieden suchen. Und dann vom Frieden gefunden werden

Ein innerer Dialog.

img_4384Ein ganzes Heft zum Thema Frieden. Die Herausgeberin muss verrückt sein. Mutig. Ambitioniert. Engagiert. Sie muss ganz einfach irre sein. In der heutigen Zeit dieses Thema. Oh man. Oder gerade drum?

Noch verrückter bin ich. Die perfekte Kritikerin, diese gnadenlose innere Stimme, hat einiges zu melden. Und das klingt dann so: Was habe ich schon zu sagen. Der Welt – oder zumindest der geneigten Leserschaft – erklären, was Frieden ist? Hey, Christel – geht es nicht auch eine Nummer kleiner? Was glaubst du denn, wer du bist. Was weißt du schon. Du spinnst doch. Ausgerechnet du?

Du hast erst {neulich / letzte Woche / vor 3 Tagen / gestern / heute morgen / eben gerade / … } { über jemanden schlecht gedacht / von dir selbst schlecht gedacht / schlecht geredet / geschimpft / gewütet / klein beigegeben / deinem Ärger Luft gemacht / dich beschwert / jemandem die Meinung gesagt / mich zu etwas gezwungen / andere gezwungen / …}.

Ich kann da einsetzen, was ich will: nach friedvollem Sein klingt das nicht. Und diese Nummer mit dem Selbstvorwurf ist erst recht kein Frieden. Kein innerer und kein äußerer.

Puh. Christel. Du willst was zu Frieden schreiben? Hoffnungslos.

—- Schnitt, Nächster Anlauf, 2. Versuch. Dieses Mal in Versform. —-

Frieden ist…

… das wärmende Lächeln eines Menschen zu sehen
… Vogelgezwitscher
… das Rauschen eines Baches
… hemmungsloses ansteckendes Lachen und nicht mehr aufhören können damit
… von Schmetterlingen geküsst werden
… Kinderlachen hören
… das Summen der Bienen
… der Duft gemähten Grases
… das Rauschen der Bäume
… eine Umarmung
… dem Regen dankbar sein
… sich durch eine grüne Wiese rollen
… den Wolken zusehen
… Musik
… die haltende Hand
… die wärmende Sonne
… ein sanfter Kuss
… Tränen in den Augen vor lauter Berührt-sein
… Wind spüren
… ein stiller Sonnenaufgang
… Kraniche auf dem Feld
… Tanzen
… die Zartheit von fallendem Schnee
… den Schwalbenluftakrobaten zusehen
… nicht genug bekommen vom Aufs-Meer-schauen
… Frisches warmes Brot mit Butter
… Gänseblümchen auf der Wiese
… vor lauter „Glück am Leben zu sein“ nicht wissen, wohin mit sich
… Stille
… Gesang
… der Klang der Harfe
… der Frühling und alles Immer-wiederkehrende-hoffnungsvolle
… das Du und das Ich und das Wir.

Hmm. Die perfekte Kritikerin hält das für zu oberflächlich. Sie findet, dass sei zwar alles schön und gut, doch in Zeiten, wo mehr Menschen vor Not, Elend, Krieg, Hunger und Gewalt fliehen als jemals zu vor auf diesem Planeten, in solchen Zeiten über die Friedfertigkeit von Naturbegegnungen oder haltenden Händen zu schreiben, das kann wohl noch nicht alles sein. Da muss mehr kommen.

Ja, vielleicht hat sie Recht, die perfekte Kritikerin.

img_4352Und trotzdem: gerade in diesen Zeiten den Blick auch zu lenken auf alles Friedvolle, Wunderbare, Schöne, Kleine, Schützenswerte, was schon da ist. Vielleicht ist die Fähigkeit, das zu können, vielleicht ist diese Fähigkeit ein erstes Friedenssignal. Denn um diese Fähigkeit zu kultivieren, braucht es etwas hoffnungsvoll-vertrauendes. Wer Frieden in den kleinen, schützenswerten und zarten Dingen erkennt, der wechselt die Blickrichtung, kann warten und zulassen, kann liebevoll auch kleines wahrnehmen, halten und innehalten.

—- Schnitt. Nächster Anlauf, 3. Versuch. Dieses mal reflektierend. —-

Der perfekten Kritikerin begegnen. Mich selbst treffen tief in meinem innersten. Diesem gnadenlosen inneren Anteil furchtlos gegenüber treten, ihm die Arme zu öffnen, die Ohren und das Herz auch. Spüren, wirklich spüren. Und dann der perfekten Kritikerin zuhören. Auf diese Weise mich selbst annehmen mit all meinen Unzulänglichkeiten, meiner Ohnmacht, meinem Schmerz, meiner Verzweiflung, meiner Wut, meiner Trauer, meiner Verletztheit. Mit einfach allem. Meine eigene Not sehen. Erkennen, welche Gewalt ich mir selbst antue, wie ich mich verletzte, unter Druck setze, bedränge, manchmal sogar verachte. Und die gute Absicht der perfekten Kritikerin erkennen. Ihr mit Liebe und Zuwendung begegnen. Die gleiche Liebe und Zuwendung auch den eigenen verletzten und gedemütigten Anteilen geben. Sich selbst Halt geben, die Hand reichen. Sich annehmen, sich selbst lieben lernen. Das ganze weite, offene, annehmende Herz für sich selbst. Im Vertrauen darauf: ich bin genug, ich bin liebenswert, ich bin so gemeint, wie ich bin.

Die perfekte Kritikerin ist sprachlos. Zum ersten Mal weiß sie nichts mehr zu sagen. Sitzt da, staunend den Mund offen, sprachlos und dankbar für so viel Anteilnahme und Zuwendung.

Frieden schließen mit sich selbst.

—- Schnitt. Durchatmen. Ich bin auf dem Weg. Es ist ruhiger, stiller geworden. —-

Noch mehr Gedanken: wenn ich mich so annehme, wenn ich mir diese Art von Liebe schenke, dann ist da tatsächlich ganz viel Frieden. Innerer Frieden. Und auch wenn ich selbst den Frieden gesucht habe: schlussendlich hat doch der Frieden mich gefunden, nicht ich ihn. Als ich mein Herz öffnete und weitete, konnte er kommen, eintreten, Platz nehmen, da sein, mich ausfüllen.

Noch ein Gedanke: Frieden ist Liebe.

—- Schnitt. Die perfekte Kritikerin tritt ab. Noch mehr Durchatmen. Der Weg fühlt sich sanft an. Es wird noch ruhiger, auch zarter. —-

img_4118Eine Frage taucht auf: Was ist dann mit dem äußeren Frieden? Und dieser Gedanke kommt: wenn der innere Frieden in mich einströmt, Platz nimmt, mich ausfüllt, dann kann er auch wieder ausströmen, ins Außen treten, für andere sichtbar werden. Und wenn das dann vielen Menschen so geht, wenn es viele Menschen gleichzeitig so halten und so erleben, dann ist Frieden nichts anderes als zum Kollektiv gewordene Liebe. Eine wunderbare Vision, ein Traum den zu träumen sich lohnt.

—- Schnitt. Zur Ruhe kommen. Entspannen. Es ist friedlich geworden. —-

—— Pause ——

—- Schnitt. Die konkrete Macherin tritt auf. Reibt sich die Hände. Will was tun. —-

Ok, also los. Was konkret jetzt? Träumen reicht nicht. Die konkrete Macherin sagt so Sachen wie „Träume sind Schäume“, und „Jetzt mal los“. Ok, auch noch Empathie für die konkrete Macherin, kennen wir ja schon. Schnell erfahren: es geht ums Wirksam-sein, Beitragen, das-Leben-schöner-machen, Spuren hinterlassen wollen. Fühlt sich für sie sehr stimmig an, sie merkt, wie sie verstanden wird. Erinnere die konkrete Macherin an all die Dinge, die schon passiert sind, die ich schon gemacht habe, die noch auf dem Zettel stehen und getan werden wollen. Erinnere sie an „Gewaltfreiheit als Weg“, an Verschenkenprojekte, an Mediationen, Seminare, Coachings, Besuche, Briefe, Aktionen, an noch viel mehr. Die konkrete Macherin staunt mit offenem Mund und großen Augen. Ich kenne das schon: sie vergisst immer so schnell. Sie erinnert noch kurz an den Zettel mit den Dingen, die noch zu tun sind. Dann schaut sie stumm und lang aus dem Fenster, denkt an all das Elend da draußen und seufzt tief. Ich verstehe sie. Und sie versteht auch: keine Überforderung mehr. Die eigenen Kräfte überschätzen hilft niemandem. Frieden mit der eigenen Begrenztheit schließen. Ich bin auch nur ein Mensch. Und die anderen da draußen alle auch.

—- Schnitt. Alle ab. Es wird still. —-

Frieden ist kein Zustand. Frieden ist ein Weg.

Dieser Artikel wurde erstmals bereits in der „Empathischen Zeit“ Ausgabe 2/2016 veröffentlicht. 

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