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Vertrauen in strukturellen Machtverhältnissen

vertrauemirUnter einem strukturellen Machtverhältnis verstehe ich ein ungleiches Machtverhältnis, also eines, das nicht ausbalanciert ist, sondern aufgrund der Systemstruktur ein Macht-über/Macht-unter Verhältnis ist. Eine Eltern-Kind Beziehung ist z.B. ein solches, solange das Kind unter 18 Jahren ist. Ein Vorgesetzten-Mitarbeiter Verhältnis ist ein weiteres Beispiel und darum geht es in diesem Artikel.

Ein Vorgesetzter befindet sich aufgrund der Struktur des Systems immer in einem größeren Machtverhältnis als seine Mitarbeiter. Er kann Anweisungen erteilen, er entscheidet über Einstellung und Entlassung und ist aufgrund einflussreicherer Beziehungen in den aller meisten Fällen zuverlässiger und umfangreicher  mit Informationen versorgt. Der Vorgesetzte entscheidet darüber, ob die Bedürfnisse des Mitarbeiter berücksichtigt werden und handelt völlig dem System konform, wenn er es nicht tut. Das führt zu einem Abhängigkeitsverhältnis der Mitarbeiter von dem Vorgesetzten und damit zu dem Macht-über/Macht-unter Verhältnis. In solchen Systemen kann es keine echte Beziehung auf Augenhöhe geben, ganz egal wie gut sich zwei Menschen verstehen und sich gegenseitig versichern, dass Augenhöhe da sei. Entscheidend ist, dass die Struktur des äußeren Systems dieses ungleiche Machtverhältnis manifestiert und die Möglichkeiten der Ungleichheit und des Macht-über-jemand-ausüben einräumt. Entscheidend ist auch, dass allein und einseitig der Vorgesetzte darüber entscheiden kann, ob die Bedürfnisse der Mitarbeiter berücksichtigt werden oder nicht.

Wie steht es nun um das Thema Vertrauen in solch einem System?

Vertrauen meint an dieser Stelle das Vertrauen eines einzelnen, dass die eigene Bedürfnisse Berücksichtigung finden.

Allein aufgrund des größeren eigenen Handlungsspielraums stellt die Berücksichtigung der Bedürfnisse der Vorgesetztenposition und deren Erfüllung kein Problem dar. Vorgesetzte treffen Anweisungen und handeln in erster Linie so, dass das, was aus ihrer Sichtweise heraus notwendig erscheint und gebraucht wird, auch erledigt und getan wird. Eine Person in einer Vorgesetztenrolle, die über mangelndes Vertrauen klagt, die also daran zweifelt, dass die Bedürfnisse ihrer Rolle nicht berücksichtigt werden, erkennt i.d.R. den eigenen Handlungsspielraum nicht  oder füllt ihn nicht vollständig aus. Es mangelt ihr in erster Linie an Selbstvertrauen. Ich habe das in einem anderen Artikel zu dem Thema bereits ausgeführt.

Was ist jedoch mit den Bedürfnissen der schwächeren Rolle, dem Vertrauen darin, dass die Bedürfnisse des Mitarbeiters auch Berücksichtigung finden?

Hier kommen wir nun an den spannenden Punkt. Bei der Aufforderung „Vertraue mir!“ sehen die meisten von uns vermutlich in Gedanken den paralysierten Mogli vor sich, der vor dem singenden Python Kaa steht. Zack – gleich packt die Schlange zu! Viele von uns haben die Erfahrung gemacht: zu Vertrauen aufzufordern bewirkt oft das Gegenteil von dem, was man eigentlich erreichen will.

Wie kann Vertrauen vom Mitarbeiter zum Vorgesetzten dann wachsen?

Vertrauen von Mitarbeitern hin zu Vorgesetzten, zu hierarchisch stärkeren, entsteht dann, wenn Mitarbeiter immer öfter und immer klarer spüren, dass ihre Bedürfnisse genauso Berücksichtigung finden. Wenn Mitarbeiter also erfahren, dass sie ernst genommen werden und mit ihren Belangen wichtig sind. Aus den obigen Ausführungen wird klar, dass dies etwas ist, was ihnen aufgrund des ungleichen Machtverhältnisses vom Vorgesetzten immer wieder eingeräumt werden muss. Und es geschieht dann, wenn:

  • Mitarbeiter spüren, dass Vorgesetzte ihnen selbst auch vertrauen. Wenn Mitarbeiter also Handlungsspielräume haben, die sie ausfüllen können und in denen sie entscheiden können. Und wenn sie erfahren, dass diese Handlungsspielräume größer werden können.
  • wenn sie nicht wie Kinder behandelt werden sondern wie Erwachsene, die für ihre eigenen Belange Verantwortung übernehmen. Das bedeutet auch, dass Vorgesetzte sich nicht ungefragt in ihre Probleme einmischen und diese zu lösen versuchen.
  • wenn Informationen frei zugänglich sind und sie selbst entscheiden können, was für sie von Bedeutung ist.
  • wenn Fehler willkommen sind als eine Chance zu lernen und zu wachsen und Schuldfragen gar nicht erst gestellt werden. Das kann auch bedeuten, dass Vorgesetzte mit eigenen Fehlern offen umgehen und ihr Lernen daraus deutlich machen.
  • wenn die Sichtweise von Mitarbeitern willkommen ist und sie ehrlich in die Problemanalyse mit einbezogen werden.
  • wenn Entscheidungsprozesse nachvollziehbar und klar sind.
  • wenn Mitarbeiter vor wichtigen Entscheidungen gefragt werden, was ihre Bedürfnisse sind und sie erfahren dürfen, dass die Bedürfnisse der Mitarbeiter in eine Lösungsfindung mit einbezogen werden. Das bedeutet nicht, dass die Bedürfnisse immer erfüllt werden können. Es bedeutet jedoch wohl, dass sie zur Lösungsfindung mit in die Waagschale geworfen werden und genauso wichtig sind wie die Bedürfnisse des Teams, der Vorgesetzten, des Unternehmens.
  • wenn dem Vorgesetzten klar ist, dass jede Situation, in der Vertrauen gebrochen wird, ungefähr 10-20 neue Situationen braucht, in denen Vertrauen wieder wachsen kann.

Es wird schnell klar: eine große Achtsamkeit ist notwendig um das Vertrauen der Mitarbeiter zu gewinnen, eine noch größere Achtsamkeit braucht es um Vertrauen dauerhaft aufrecht zu halten. Es reicht nicht, wenige Male so zu handeln, Kontinuität ist unerlässlich. Ich habe viele Mitarbeiter erlebt, die lange Zeit brauchten, um überhaupt darin zu vertrauen, dass ihr Vorgesetzter es ernst meint. Angst ist der Gegenspieler von Vertrauen. Je mehr Angst vorhanden ist, desto länger dauert es, bis Vertrauen keimen und wachsen kann. Die wichtigsten Eigenschaften für Vorgesetzte sind an dieser Stelle Empathie, Geduld und Aufrichtigkeit.

Ich habe mich vor wenigen Tagen mit einer Bauingenieurin unterhalten, sie ist bei einem mittelständischen Unternehmen angestellt und hat mir sehr begeistert von ihrem Arbeitgeber erzählt. Mir wurde sehr schnell klar, dass sie und ihre Kollegen mit größtem Engagement und voller Begeisterung dort tätig sind. Auf meine Frage hin, warum das so sei, sagte sie: „weil ich genau weiß, dass mein Chef alles für mich und meine Kollegen tun würde, wenn es hart auf hart kommt. Dann kann ich auch alles geben.“ So sicher konnte sie sich nur sein, weil sie es erlebt hat und Tag für Tag neu erfährt.

Kommentare

2 Antworten zu „Vertrauen in strukturellen Machtverhältnissen“

  1. Avatar von Ralf Metz

    Liebe Christel,

    ein sehr wichtiger Beitrag, wie ich finde.
    Denn ich sehe in vielen Diskussionen über den Wandel der Arbeitswelt, dass die Probleme der ‚alten Welt‘ doch nun mit neuen Methoden (Agilität etc) gelöst werden sollen.

    Nur: Struktur & Hierarchie bedeutet ja nicht automatisch eine schlechte Behandlung der Mitarbeiter. Selbst in klassischen Top-Down Organisationen ist eine Begegnung auf Augenhöhe immer wieder und ständig möglich.

    Und gleichwohl schafft Agilität, Unternehmensdemokratie etc ohne einen anderen Umgang miteinander es auch nicht, die vorherigen Missstände aus der Welt zu schaffen. Im Gegenteil – es wird noch schlimmer.

    Thema: Agilität und Mobbing, Gruppendruck etc.

    Von daher, vielen Dank!

    1. Avatar von Christel

      Ralf, danke für Deinen Kommentar. Ich sehe es genau so wie Du und Deinen Kommentar zu lesen inspiriert mich zu einem weiteren, folgenden Artikel, um das Thema weiter zu führen. Auch dafür herzlichen Dank!

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